Mittwoch, 18. Juni 2014

Darum sind die Spiele bei der WM so spektakulär

Viele Tore, packende Zweikämpfe, hohes Tempo: Die WM 2014 in Brasilien hat so schwungvoll begonnen wie wenige Turniere. Die Gründe liegen in der Rückbesinnung auf ein eigentlich verpöntes Stilmittel.
Es gibt eine Hochrechnung, die mehr über diese Weltmeisterschaft verrät als die meisten Wahl-Hochrechnungen über die politische Zukunft einer Nation. Die Zahlenspielerei aus Brasilien besagt, dass Arjen Robben einen 100-Meter-Sprint in 9,73 Sekunden absolvieren könnte, wenn er denn das Tempo anschlägt, mit dem er Sergio Ramos auf dem Weg zum 2:1 im ersten Gruppenspiel gegen Spanien (5:1) enteilt ist. Bei den Olympischen Spielen in London hätte das zur Silbermedaille hinter Wunderläufer Usain Bolt (9,63 Sekunden) gereicht. Bei der Fußball-WM langt es immerhin zum Status des Trendsetters des ersten Spieltags.
Nachdem jede der 32 Mannschaft einmal gespielt hat, ist die größte Befürchtung vieler Experten zerstreut. Die Tropenhitze dimmt die Partien mitnichten auf das Niveau eines sommerlichen Nachmittagskicks herunter (wenn nicht gerade Nigeria gegen den Iran spielt). Abgesehen von diesemSpiel, das ebenso torlos endete wie das der Brasilianer am Dienstagabend gegen Mexiko, gilt: Es sind in den ersten WM-Spielen so viele Tore (49) wie seit 1958 in Schweden nicht mehr zu bestaunen, vor vier Jahren in Südafrika war es zum gleichen Zeitpunkt gerade einmal die Hälfte.
Und: Die Partien haben auch abgesehen von der Trefferquote einen hohen Unterhaltungswert. "Die Offensive ist offenbar vielen Teams wichtiger als die Defensive. Die Abwehrketten stehen sehr hoch, weil Ballgewinn die Maxime ist", sagt Peter Hyballa im Gespräch mit der "Welt": "Das führt dazu, dass wir unglaublich viele Zweikämpfe sehen. Diese Kombination lässt die Partien spektakulär erscheinen."

Robben und van Persie als Prototypen

Unmittelbar vor der Abreise nach Brasilien hatte Bundestrainer Joachim Löw noch gewarnt: "Wer glaubt, dass er in Brasilien Tempofußball wie in Europa spielen kann, der fährt spätestens nach dem Viertelfinale heim." Auch wenn es bis dahin noch zwei Wochen dauert, haben die bisherigen Partien schon den Gegenbeweis geliefert. Die von Löws Mannschaft gegen Portugal inklusive. Mittelfeld-Pressing und Tempofußball nach dem Vorbild von Champions-League-Sieger Real Madrid dominieren auch bei der WM, mit Robben, Dreifach-Torschütze Thomas Müller oder Robin van Persie als Prototypen."Jede Mannschaft versucht, nach Ballgewinnen sofort auf Angriff umzuschalten", erklärt Trainer Hyballa, der sich in in zwei Büchern intensiv mit den taktischen Grundzügen des Spiels beschäftigt hat: "Wir erleben eine Entwicklung weg vom Ballbesitzfußball hin zum Angriffsfußball. Nach vier, fünf Ballkontakten folgt eine klare Offensivaktion." Während die Spanier sich 2010 mit enormer Ballsicherheit und endlosen Passstafetten zum WM-Titel kombiniert haben, setzen vier Jahre später vor allem Deutschland und die Niederlande mit direktem Spiel in die Spitze die Akzente. Auch vermeintliche Exoten wie Costa Rica und Ecuador versuchen, nach aggressivem Pressing zu kontern. Allerdings sahen die Resultate zumeist mehr nach und Campbell oder Caicedo aus als nach Benzma oder Messi.

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Exemplarisch nennt der derzeitige U19-Coach von Bayer Leverkusen die taktische Ausrichtung der Niederländer im Duell mit Spanien. Vier von fünf Toren folgten nach blitzartigen Angriffen, dreien ging ein langer Pass aus der eigenen Hälfte voraus. "Früher galt Fußball nach dem Schema 'Kick and Rush' verpönt", sagt Hyballa: "Bei der WM bedienen sich viele Teams dieses Stilmittels." Schnelle, wendige Stürmer à la Müller, Alexis Sanchez oder Neymar stehen daher bei den Trainern höher im Kurs als klassische Strafraumspieler wie Klose, Huntelaar oder Drogba. "Jedes Team hat einen Offensivspieler, der bei Ballgewinnen sofort durchstartet", analysiert der 38-Jährige: "Deswegen gibt es auch immer diese sehr knappen Abseitsentscheidungen." Nicht immer lagen die Linienrichter dabei richtig.
Diese Spielweise hat den für die Zuschauer angenehmen Effekt, dass fast in jeder Partie frühe Tore fallen. Bis auf Deutschland ist kein WM-Favorit mehr ohne Gegentreffer, nicht einmal die sonst so abwehrstarken Italiener. "Man kann deutlich erkennen, dass im Training viel Wert auf die Arbeit gegen den Ball gelegt wurde. Die Maxime von, erst einmal die Null zu halten, ist über Bord geworfen worden", glaubt Hyballa. An eine Umkehr dieses Trends in den entscheidenden Gruppen- und K.o.-Spielen glaubt er nicht. Für einen grundlegenden Strategiewechsel sei ein Turnier schlicht zu kurz.

Jedes dritte Tor nach Standards

Daraus ergibt sich auch das zweite Phänomen, das der erste WM-Spieltag hervorgebracht hat. Um komplexe Spielzüge einzustudieren, reicht die Zeit nicht. Für das Üben gefährlicher Standardsituationen offenbar schon. Fast jeder dritte Turniertreffer fiel nach Eckbällen oder Freistoßflanken. Selbst die Deutschen, die seit einer gefühlten Ewigkeit Ecken ins Nirwana geschlagen haben, hatten schon im ersten Spiel durch Mats Hummels Grund zum Jubeln.
"Allein ihre Größe und ihre Wucht macht viele Spieler nach scharfen Hereingaben gefährlich", glaubt Hyballa, der zudem auf einen pragmatischen Trainingsansatz hinweist: Aus Furcht vor der Hitze hätten viele Coaches bei den Vorbereitungs-Einheiten auf einfache Spielformen gesetzt, auch im Campo Bahia galt mindestens ein Trainingstag nur offensiven Standardsituationen. Die große Anzahl der Zweikämpfe im Mittelfeld produziert außerdem viele Fouls und somit Freistöße rund um den Strafraum. "Bei solchen Flanken ist immer etwas möglich", weiß Hyballa: "Da spielt der Zufall eine größere Rolle als bei kontrolliert vorgetragenen Angriffen." Der Kombination verdankt die WM seinen spektakulären Auftakt.

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