Mittwoch, 15. Oktober 2014

Zwei Wochen Daumendehnen mit dem iPhone 6

Das kleinere iPhone 6 und das grössere iPhone 6 Plus: Beide bieten viel, kosten aber auch viel. Foto: Reto Oeschger
Nein, es hat sich nicht verbogen. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich diese Frage in den letzten beiden Wochen während meines ausführlichen Tests beantworten musste. Die Frage kam so oft, dass ich nun das iPhone 6 Plus lieber in meiner Hosentasche lasse als die Frage noch einmal beantworten zu müssen. Um die Biegsamkeit des iPhones habe ich mir nie Sorgen gemacht. Ich gehe aber auch sehr vorsichtig um mit meinen Geräten und insbesondere Testgeräten. Eine Schutzhülle verwende ich jedoch nie. Ein Smartphone sollte auch ohne alltagstauglich sein. Gerade von Apple darf man erwarten, dass es Geräte baut, die ohne Hülle auskommen. Wenn man ein neues iPhone, kaum ausgepackt, wieder einpacken muss, kann man die detailverliebte Design-Abteilung um Jony Ive gleich schliessen.

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Optisch sind die neuen iPhones weniger auffällig als vergangene Modelle. Das runde Design unterscheidet sich nur in Nuancen von Konkurrenzprodukten. Das fühlt sich zwar bequemer an, zusammen mit der neuen Grösse macht es das Telefon aber auch weniger griffig. Gerade das grosse 6 Plus mit einer Diagonale von über 16 Zentimetern droht einem regelmässig aus der Hand zu rutschen. Möchte man einhändig im Supermarkt die Einkaufsliste von Bring öffnen oder im Gedränge am Hauptbahnhof ein SMS, ist einiges an Fingerakrobatik gefragt. Ich habe mir kurz überlegt, die Rückseite mit Klebeband, ähnlich wie einen Hockeystock, rutschfester zu machen – es dann aber aus ästhetischen Gründen unterlassen.
Zur Konkurrenz aufgeschlossen
Langjährigen iPhone-Nutzerinnen und -Nutzern dürfte der Umstieg auf ein derart grosses iPhone, das man besser mit zwei Händen bedient, schwerfallen. Für 90 Prozent von ihnen wird das kleinere iPhone 6 oder eine Alternative die bessere Wahl sein (siehe Text rechts).
Wenn man grosse Smartphones mit Googles Android-Software gewohnt ist, fällt die Umstellung aufs iPhone 6 Plus dafür leichter denn je. Vor einem Jahr kritisierte ich am iPhone 5S, es sei zu klein, man sollte die Tastatur den eigenen Vorlieben anpassen dürfen, und es sollte einfacher sein, Bilder und Links an andere Apps weiterzuleiten. All das hat Apple mit den neuen iPhones und dem neuen Betriebssystem iOS 8 korrigiert. Dass Apple so lange wartete, liegt nicht zuletzt am verstorbenen Gründer Steve Jobs, der noch 2010 gegen grössere Smartphones wetterte und App-Entwicklern lieber weniger als mehr Freiheiten liess. So gesehen, sind die neuen iPhones und die neue Software ein grosser Schritt für Apple und seine Kunden.
Neu kann man auf dem iPhone dieselben Tastatur-Apps nutzen, die es für Android gibt. Die Auswahl ist gross genug, dass sich für jeden Schreibstil eine findet. Mit iOS 8 ist es so einfach wie mit Android, Onlineartikel in die Offline-Leseapp Pocket zu speichern. Fotos kann man aus der Galerie in eine App wie 500px weiterleiten. Leider nutzen noch nicht alle Apps (etwa Whatsapp oder Instagram) diese neue Teilfunktion. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das ändert. Seit dem Verkaufsstart vor zwei Wochen erscheinen fast täglich Updates, die diese Funktionen zu immer mehr Apps hinzufügen.
Gerade beim 6 Plus fällt auf, dass viele Apps noch nicht für den grösseren Bildschirm und die neue Queransicht optimiert sind. Nicht immer funktioniert die Zurück-Wisch-Geste, sodass man seinen Finger strecken muss, um den Zurück-Knopf oben links zu erreichen. Damit man auch diese weit entfernten Knöpfe leichter erreicht, hat Apple einen Schrumpfmodus erfunden. Klopft man zweimal auf den Home-Knopf, schiebt sich der Bildschirminhalt um die Hälfte nach unten, und die obersten Knöpfe kommen in Daumenreichweite. Das dürfte jedoch nur eine Not­lösung bleiben. Mit der Zeit wird sich die Software den neuen Bildschirmen anpassen. Wie das geht, zeigt etwa Microsoft mit dem Internetexplorer für Tablets und Telefone. Der hat die Adressleiste nicht mehr oben, sondern unten am Browserfenster, wo man sie ohne Daumengymnastik antippen kann.
Aber nicht nur bei diesen neuen Funktionen sind die App-Entwickler gefragt. Bei den gross angekündigten Fitness-Apps gibt es Verbesserungsbedarf. Auch nach zwei Wochen habe ich noch keine App gefunden, die den neuen Barometer sinnvoll mit dem Schrittzähler kombiniert. Apples eigene Healthkit-App zeigt zwar alle Daten an, wirkt aber unübersichtlich und technokratisch.
Guter Akku, hoher Preis
Neben der offeneren Software und der neuen Grösse überzeugt das 6 Plus mit einem sehr schönen Bildschirm, einer sehr guten Kamera und einem zuverlässigen Akku. Dass der Bildschirm bei der Auflösung nicht mit den neusten Telefonen von LG und Samsung mithalten kann, fällt von Auge kaum auf. Fotos wirken darauf im Idealfall wie auf Hochglanzpapier gedruckt.
Die Kamera war schon beim Vorgänger mein Highlight, und sie ist es erneut. Sie ist rein technisch nicht die allerbeste, aber die Kombination aus intelligenter Software und einfacher Bedienung macht Freude. Der Akku hielt regelmässig einen Tag durch, sodass man ihn nicht zwingend jede Nacht, aber am Tag danach im Büro laden musste. Wer sparsamer damit umgeht, dürfte noch bessere Werte erreichen. Aber auch aktuelle Smartphones anderer Hersteller wie das G3 von LG oder das Z3 von Sony sind nicht mehr auf nächtliches Laden angewiesen.
Den grössten Nachteil teilt das 6 Plus mit den anderen iPhones: Mit einem Mindestpreis von 880 Franken ist es sehr teuer. Auch wenn man dafür einiges geboten bekommt, wirkt der Preis umso höher, als es dafür nur sehr knappe 16 GB Speicher und für deutlich weniger Geld schon sehr gute Alternativen gibt.
Fazit: Das iPhone 6 Plus ist mehr als ein grosses iPhone. Es ist auch ein kleines Tablet. Wer viel im Zug unterwegs ist, häufig längere E-Mails schreibt, gelegentlich eine Tabelle bearbeitet oder gerne Filme schaut, wird den grösseren Bildschirm schätzen. Auch wenn das 6 Plus nicht so handlich ist wie ein kleineres Telefon und nicht so komfortabel wie ein grösseres Tablet, ist es doch ein guter Immer-dabei-Kompromiss. Wenn die Apps die neue Hard- und Software noch besser ausnutzen, wird daraus sogar ein sehr guter Kompromiss.

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